Das mit einer Höhe von 203 cm etwas über lebensgroße Objekt "Boy, Son of John Doe" stellt mittels einer figurativen Assemblage einen frei stehenden jungen Mann dar, der in Bauchhöhe in einem blauen Blech-Spielzeugauto steckt. Unter dem Auto teilt er sich in zwei Körper -Rücken an Rücken- auf, mit je einem Paar Beine, von denen ein Paar in braunen Hosenbeinen nach vorn und das andere Paar in einem Jeans-Hosenbein und eines, auf der Abbildung kaum erkennbar in wahrscheinlich kurzen Hosenbein nach hinten weisen. Passend zu den Beinkleidern hat die aus Schaufenster-Puppen-Teilen zusammengesetzte Figur Schuhe an: Das in Blickrichtung linke Vorderbein mit sauberer brauner Bügelfaltenhose trägt ordentliche, biedere Lackschuhe, das rechte Bein mit schmutzig-braunem Hosenbein alte, schmutzige Turnschuhe. Dieses Beinpaar erinnert an die Arbeitswelt der Erwachsenen, als Büroarbeit oder Arbeiter. Das rückwärts gerichtete Beinpaar deutet eher auf die Welt der Jugendlichen: modische Jeans mit Baseball-Schuh und das nackte Bein mit Sandale.
Das blaue Kinderauto ist mit einer übergroßen Antenne und nachträglich angebrachtem großen Hinterrad offensichtlich aufgewertet worden. Im Kofferraum befinden sich laut Beschreibung diverse Schätze aus dem Alltag eines pubertierenden Jungen wie Sportartikel, Schallplatten, Alkoholika, Kondombehälter, Waffen und Lesestoff aus verschiedenen Entwicklungsphasen.
Der aus dem Auto oben herausragende Oberkörper steckt in einem mit vorwiegend roter und schwarzer Farbe fleckig überarbeitetem Pullover. Diese Farben gehen in Körpernähe auch in die Seitenwände des Autos über, so dass das Auto zum Bestandteil der Figur wird. Der Junge identifiziert sich mit diesem Auto als Statussymbol.
Der Kopf mit blonder Kurzhaarperücke ist gesichtslos und mit schwarzer Farbe zu einem Stereotypen anonymisiert, nur Augen und Nasenspitze sind mit roter Farbe nachlässig angedeutet. Die rechte Hand steckt lässig in der rechten vorderen Arbeiter-Hosentasche, die Linke hängt locker herab. Zwischen den vier Beinen ist unauffällig die Stütze der Konstruktion mit einem tellerartigen Standfuß zu erkennen.
Kienholz hat hier ausschließlich gefundene Objekte aus dem Alltag kombiniert und mit Farbe und Kunstharz im Stil von Actionpainting flüchtig überarbeitet, um sie miteinander zu verbinden. Diese Schichten wirken wie eine Patina, erinnern an gemeinsam erlittene Gebrauchsspuren, eine gemeinsame Geschichte, die schicksalhafte Verbindung der surreal kombinierten Einzelteile.
Schonungslos ironisch und grotesk wird hier in fast exhibitionistischer Weise die innere Unsicherheit hinter einer Fassade machohafter Attribute eines anonymen Heranwachsenden dem Voyeurismus des Betrachtes bloß gelegt.
Mit dem Namen "Boy, Son of John Doe " bezieht Kienholz die Figur auf seine früheren Werke: " John Doe " und "Jane Doe " von 1959/60, die ebenso wie dieses Werk die äußeren Fassaden und inneren Werte der heldenhaften Idealtypen der amerikanischen Gesellschaft kritisch interpretieren, indem sie durch das ramponierte Äußere den Blick auf das trostlose Innere oder auf die Zerrissenheit und Doppelmoral der ehemals ideal-schönen Schaufensterpuppen lenken. Die Namen "John "- oder "Jane Doe " entlehnte Kienholz aus Polizeiakten, sie stehen für unbekannte Tote. Sie erinnern damit an die verdrängten aber realen Kehrseiten der heilen Welt der kleinbürgerlichen amerikanischen Gesellschaft. Kienholz legt damit gesellschaftskritisch moralisierend den Finger in die Wunde von schönen Schein des "american way of life ".
Viele Environments oder Objekte sollten
ursprünglich den Rezipienten einbeziehen, vom ihm erforscht und benutzt werden.
So muss man bei "Boy " den Kofferraum öffnen, bei der Mutter von "Boy " zum Beispiel
den Rock in Form eines Tischtuchs anheben um in ihre Schubladen zu sehen, den
Vater von Boy kann man auf seinem Wägelchen herumschieben.
Später bezieht Kienholz auch noch Effekte wie zum Beispiel Licht, Uhren oder
Geräusche oder funktionierende Cola-Automaten in seine Kunstwerke ein.
Bei seiner Arbeitsweise lässt sich Kienholz von zufällig entdeckten Fundstücken inspirieren, die er meist auf Flohmärkten findet und dann gezielt oder zufällig mit Objekten kombiniert, um die von ihm gewünschte Interpretation zu steuern. Statt die Realität zu imitieren, abzubilden, benutzt er sie in Form ihrer Abfallobjekte um in neuen Wirkungszusammenhängen den einstigen Wert der Fundstücke neu sichtbar zu machen.
Wie im "Objet surrealiste " treffen dabei oft ungewöhnliche Kombinationen aufeinander, im Gegensatz dazu sind seine Kombinationen zwar oft mehrschichtig, aber immer rational deutbar. In sofern kann man auch nicht immer von "Objets trouvés " sprechen, sonder muss von "Objets cherchés " reden, die er in Anlehnung an die Schausteller-Technik von Wachsfiguren-Kabinetten zu "Tableaux " kombiniert. Die direkten Quellen solcher Assemblage-Kunst, einer Übertragung des flächenhaften Collage-Prinzips in die dreidimensionale Objekt-Montage, liegen im Kubismus und vor allem im Dadaismus mit dessen Entdeckung des "Objet trouvé " und des "Ready-made ", ausgeführt mit der unbekümmert-provokativen Haltung der Hippie- und Pop-Kultur des amerikanischen Westens, die auch vor dem Pathos der heiligsten Ikonen der USA nicht Halt macht. Er galt in Amerika als einer der führenden neodadaistischen Künstler, die den Schritt vom dadaistischen Environment zur Objektmontage vollzogen haben.
" Ich liebe mein Land, das hindert mich aber nicht daran, es ab und zu zu kritisieren " soll er einmal über seine Werke gesagt haben.
Joachim 2007